Zärtlicher Chaot

 

Ein "Zärtlicher Chaot" im Studio: Die neue CD von Udo Jürgens vermittelt Lust auf Leben

Udo Jürgens hat die ersten Basictracks zum neuen Studio-Album "Zärtlicher Chaot" bereits vor der ausgedehnten Jubiläumstournee 1994/95 mit einem fünfköpfigen Musikerteam unter Live-Bedingungen eingespielt. Dazwischen lagen "140 Tage Größenwahn" mit rund einer halben Million begeisterten Zuschauern. Das hinterließ selbst beim erfolgsgewohnten Entertainer tiefe Eindrücke, die er unbedingt auf die neue CD hinüberretten wollte. So ließ sich der Komponist Udo Jürgens von den nachklingenden Tournee-Emotionen beflügeln und gab seinem Alter Ego, dem Musiker Udo Jürgens, die Chance, beim endgültigen Finish nochmals kräftig zuzulangen: schon lange hatte er für seine Produktion nicht mehr so viele Solisten zu den Aufnahmesessions in Studio gebeten. Das entstandene Musikspektrum reicht von klavierumrankten und in Streichersätze gebettete Balladen bis hin zu schnellen Poptiteln mit rockigen Gitarrenriffs und knackigen Bläsersätzen. Udo sieht die CD "Zärtlicher Chaot" als seine ganz persönliche Referenz an die Bühne. Seine ausgefuchsten und peppigen Studiomusiker, der homogene Chor, das subtile Symphonie-Streichorchester und sparsam eingesetzte Synthesizer ergeben zusammen mit Udos Stimme und Klavier jenes Klangbild, das den Udo Jürgens-Sound unverkennbar macht.

Viele von Udos bisherigen Alben hatten autobiografischen Charakter - kein Titel war bisher so mutig und ehrlich zugleich. Wer würde sich schon freiwillig als Chaoten bezeichnen? Kein Problem für Udo, der das magische Alter von sechzig Jahren mit jugendlichem Übermut hinter sich gelassen hat. Ihm steht dieser lockere Umgang mit den eigenen menschlichen Fehlern gut an. Noch nie mußte er sich hinter einer scheinheiligen Maske verstecken! "Wenn ich auf meinen bisherigen Lebenslauf zurückblicke, sehe ich mich als Chaot." Oft hat er auf der Suche nach Harmonie das Chaos bewußt provoziert. Nie hat er aber Trümmer und kaputte Menschen hinterlaßen, sondern höchstens ein charmantes Durcheinander. Den Begriff Zärtlichkeit will er nicht als Erotik verstanden wissen, sondern vielmehr als Mangel an Aggressivität und Gewalt.

Die neue CD "Zärtlicher Chaot" ist lustvoll und optimistisch, aber auch zeitkritisch. Mit der ersten Single-Auskopplung "Heute beginnt der Rest deines Lebens" möchte Udo insbesondere jungen Leuten einen aufmunternden Ratschlag zu positiver Lebenserfüllung geben: "Eigentlich habe ich erst mit 30 angefangen bewußt zu leben. Mit 40 ist dann schon Silber, ab 50 ganz bestimmt Gold durch die Sanduhr meines Lebens gelaufen". Wohl war, denn so sinniert ein Künstler, von dem viele Leute annehmen, daß er keinen Kelch an sich vorbeigehen ließ. Ganz in der Tradition von Udo liegt der Song "Der werfe den ersten Stein". Darin setzt er erneut einen biblischen Spruch in philosophisches Liedgut um. Gekonnt läßt Udo den zeitkritischen Schalk für die Liebhaber seiner satirischen Lieder in zwei besonderen Leckerbissen aufblitzen: Einerseits in "Festspielfieber", einem schelmischen Seitenhieb auf die wahre Kulturliebe der High Society. Andererseits in "Humtata und Tätära", ein Stück, das so bierselig und beschwingt daherkommt, daß die hintergründige Botschaft des Liedtextes glattweg überhört werden könnte.